Wenn radioaktive Wälder brenne

23 April 2020

Published by https://www.zeit.de

UKRAINE – Seit Wochen brennt es im Sperrgebiet um das havarierte Atomkraftwerk in Tschernobyl. Wie schlimm ist es? Eine Gefahr ist die Strahlung vor allem für die Einsatzkräfte.

Im Niemandsland um den vor 34 Jahren explodierten Reaktorblock 4 des Atomkraftwerks in Tschernobyl breiten sich seit Wochen immer wieder Feuer aus – neue Brandherde kamen hinzu, andere wurden von den Einsatzkräften gelöscht. Um wie viel Fläche es geht, steht noch nicht genau fest, auch weil die Feuer noch immer nicht vollständig gelöscht sind. Nachdem ukrainische Stellen zwischenzeitlich vermeldeten, die Situation unter Kontrolle zu haben, scheint sich die Lage in den vergangenen Tagen wieder zu verschlechtern. Anfang der Woche wurde die Zahl der Einsatzkräfte noch einmal deutlich erhöht. Gemeinsam versuchen Feuerwehrleute sowie Mitglieder der Armee und der Nationalgarde, die Ausbreitung der Flammen zu stoppen, indem sie löschen und mit schwerem Gerät Schneisen in die Wälder pflügen.

Wie gefährlich ist der radioaktive Rauch?

Problematisch ist nicht nur das Feuer selbst, sondern der Ort: Es brennt im am stärksten radioaktiv verseuchten Wald der Welt. Der Reaktorunfall am 26. April 1986 setzte große Mengen radioaktives Material frei. Einen Teil davon verteilten Winde auf der ganzen Welt, vor allem aber belasteten die verseuchten Partikel die nähere Umgebung. Sie setzten sich in den oberen Bodenschichten und den dort wachsenden Pflanzen fest. Jeder Baum baute die radioaktiven Stoffe so quasi in sein Holz mit ein. In der Sperrzone, einem Gebiet von 30 Kilometern rund um den havarierten Reaktor, ist die Strahlenbelastung noch immer sehr hoch. Und genau dort brennt es.

Johann Goldammer ist Feuerökologe und leitet das Global Fire Monitoring Center in Freiburg. Gemeinsam mit ukrainischen Fachleuten beobachtet er die Lage sehr genau. Seinen aktuellen Auswertungen zufolge begannen die Feuer außerhalb der Sperrzone, inzwischen aber standen rund 25.000 Hektar Fläche innerhalb dieser Zone in Flammen. Dass solche Brände schwerwiegende Auswirkungen haben können, berechneten Forscherinnen und Forscher schon 2014 (Environment International: Evangeliou et al., 2014). Denn wenn die Bäume dort brennen, werden Radionuklide frei, die mit dem Rauch aufsteigen und sich so über weite Strecken verteilen können. Auch bei den aktuellen Bränden entsteht Rauch, Asche und Staub werden aufgewirbelt und mit ihnen die strahlenden Substanzen. “Je intensiver die Brände, desto mehr Material gelangt in die Luft und kann sich andernorts wieder absetzen”, sagt Goldammer.

Die so aufgewirbelten Partikel könnten der Französischen Strahlenschutzbehörde IRSN zufolge bis nach Westeuropa gelangt sein. Allerdings in derart geringen Mengen, dass sie nur schwer nachweisbar sind. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch ein Team um den Atmosphärenforscher Nikolaos Evangeliou, das vergleichbare Brände des Jahres 2015 in dieser Region untersuchte. In ihrer Studie schreiben die Forscher, dass die Strahlenbelastung in Europa bei diesen Gras- und Waldbränden etwa in der Größenordnung einer typischen Röntgenuntersuchung beim Zahnarzt lag (Scientific Reports: 2016). Bei den aktuellen Bränden geht das Deutsche Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) davon aus, dass für die Gesundheit der Menschen und die Umwelt in Deutschland keine Gefahr besteht. Das sei selbst bei ungünstigeren Bedingungen so, etwa wenn sich die Brände noch vergrößern oder es stärker windet.

Sorgen muss man sich vor allem um die Einsatzkräfte

Anders sieht es in der nur 70 Kilometer von Tschernobyl entfernten ukrainischen Hauptstadt Kiew aus. Zeitweise führte Rauch dort zu dichtem Smog und einer gefährlich schlechten Luftqualität. Am vergangenen Samstag etwa waren die Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen und die Fenster geschlossen zu halten. Auch eine erhöhte Strahlenbelastung war zwischenzeitlich messbar. Die zulässigen Grenzwerte wurden ukrainischen Behörden zufolge jedoch nicht überschritten – das gab das State Scientific and Technical Center for Nuclear and Radiation Safety (SSTC) an. Und auch das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz geht davon aus, dass die leicht erhöhte Strahlung für die Bevölkerung Kiews bislang gesundheitlich unbedenklich ist.

Sorgen müsse man sich vor allem um die Einsatzkräfte vor Ort, sagt Brandexperte Goldammer. Die etwa 2.000 Feuerwehrleute, die gegen die Flammen kämpfen, hätten zum Großteil keine adäquate Schutzausrüstung. Er schätzt, dass es vielleicht 10 oder 20 Millionen Euro kosten würde, die Einsatzkräfte vor Ort entsprechend auszurüsten, und sieht darin eine Aufgabe für die internationale Gemeinschaft. Weil dieses Geld aber fehlt, ist es schwierig, die Brände unter einigermaßen sicheren Bedingungen zu löschen. Und auch Pläne, den Wald brandsicherer zu machen, gibt es längst, bislang aber sind sie noch nicht umgesetzt. 

Die Nadelwälder rund um den Reaktor brennen schnell

Dass etwa 30 Kilometer rund um den Reaktor eine hohe Gefahr für Waldbrände bestehe, sagen Fachleute schon seit Jahren. Größere Feuer gab es auch schon 1992, 2015, 2017 und 2018. “Die von uns zur Praxisreife entwickelten Methoden des Feuermanagements auf radioaktiv kontaminiertem Gelände sind bislang nicht umgesetzt worden”, sagt der auf Feuer spezialisierte Forstwissenschaftler Goldammer. Seit Jahren arbeite er gemeinsam mit ukrainischen Wissenschaftlern des Regional Eastern Europe Fire Monitoring Center in Kiew an Strategien zur Prävention und Bekämpfung von Landschaftsbränden in der Region, mit dem Schwerpunkt auf der Sicherheit des Forstpersonals, den Einsatzkräften und den Anwohnern. Aber die Wälder rund um Tschernobyl wurden nach 1986 sich selbst überlassen. Was fast schon nach Naturidyll klingt, ist laut Goldammer brandgefährlich: “Die Kiefernmonokulturen, die Menschen als Wirtschaftswälder angelegt haben, sind sehr anfällig für Brände. Und wenn tote Bäume nicht entfernt werden, sammelt sich mit der Zeit sehr viel brennbare Biomasse an, und Borkenkäfer tragen zur Verschärfung der Lage bei. Ist es dann so trocken wie in diesem Frühjahr, braucht es nicht viel und große Flächen stehen in Flammen.”

Um das zu verhindern, muss der verstrahlte Wald so umgebaut und gepflegt werden, dass Brände sich weniger schnell ausbreiten können. Arbeiter können etwa Brandschneisen anlegen, in denen die Menge des brennbaren Materials reduziert wird, sodass das Feuer nicht weiter um sich greifen kann.

Die Menschen, die diese Arbeiten in der Sperrzone erledigen, müssen allerdings vor Staub und Strahlung geschützt werden. Sie benötigen die richtige Schutzkleidung und Fahrzeuge mit speziell abgeschirmten Kabinen und besonderen Klimaanlagen. Im Vergleich zu anderen Maßnahmen, die nach dem Reaktorunglück notwendig wurden, wären diese Investitionen ein echtes Schnäppchen. Allein die neue Schutzhülle, die seit einigen Jahren den havarierten Reaktor einschließt und an der sich 40 Länder beteiligten, hat rund 1,5 Milliarden Euro gekostet. “Dass aber auch vom umgebenden Wald möglichst wenig Gefahr ausgeht, ist ebenfalls im Interesse aller”, sagt Goldammer.

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