15 Meter unter normal

KLIMAWANDEL ERZEUGT DÜRREN

23 November 2005

published by www.taz.de


Am Montag beginnt in Montreal die erste Vertragsstaatenkonferenz zumKiotoprotokoll. Im Blickpunkt steht auch das Amazonasbecken. Die grüne Lungeist unverzichtbar für den globalen Klimakreislauf. Doch Forscher fürchten eineVersteppung – mit unabsehbaren Folgen für das Klima

15 Meter unter normal
(GERHARD DILGER / NICK REIMER)

Brasilien — Wenn es doch endlich regnen würde. Teddy Campos hebt die Handauf Brusthöhe, um zu zeigen, wo eigentlich das Wasser des Rio Corrientes stehenmüsste zu dieser Jahreszeit. Jetzt stinkt krustiger Schlamm vor sich hin.

Der Corrientes mündet in den Fluss Tigre, der in den Marañón fließt. Derwiederum vereint sich mit Dutzenden anderen Zuflüssen im peruanischen,kolumbianischen und brasilianischen Regenwald zum Amazonas – dem größten Flussder Welt. Normalerweise: Denn in diesem Jahr leidet das ganze Amazonasgebietunter extremer Trockenheit. Vor Wochen vernichtete eine Feuersbrunst inNordbolivien 1.000 Quadratkilometer Regenwald.

Wichtig fürs Klima

Im Wassereinzugsgebiet des Amazonas liegt der größte zusammenhängende tropische Naturwald der Erde. Das Ökosystem hat nicht nur einen wesentlichen Einfluss auf das Weltklima, sondern beherbergt auch einen großen Anteil der pflanzlichen und tierischen Artenvielfalt. In Amazonien leben 25 Millionen Menschen. Die Region umfasst Landesteile in Brasilien, Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien, Venezuela, Guyana und Surinam.

Was am Oberlauf, bei Teddy Campos, vielleicht einen Meter ausmacht, ist am Unterlauf gleich ein Dutzend: In der brasilianischen Forschungsstation Santarém, dort, wo die Flüsse Amazonas und Tapajos aufeinander treffen, liegen die Pegel derzeit bis zu 15 Meter unter dem Durchschnitt. Man mag es kaum glauben: Einem der größten Süßwasserspeicher der Welt geht das Wasser aus. Seen sind zu Tümpeln geschrumpft, einst lebendige Seitenarme sind nur noch stinkend faulige Lachen, in denen Tonnen verwesender Fischkadaver treiben.

Im Bundesstaat Amazonas, wo sich allmählich ein Ende der Dürre abzeichnet, versorgt die Armee immer noch 111.000 Betroffene mit Wasser, Essenspaketen und Medikamenten. 600 Schulen mussten geschlossen werden. An den Ufern machen sich die Aasgeier über tote Piranhas her. Neben Fischen sind auch Seekühe, Meerschweine und Süßwasserdelfine kläglich verendet. Und es wächst die Gefahr von Malaria-, Dengue- und Choleraepidemien, denn Abwassersysteme sind hier die große Ausnahme. Im benachbarten Bundesstaat Pará wurde ein weitläufiges Areal mit 92.000 Einwohnern zum Notstandsgebiet erklärt. Hier, so die Prognosen, soll der November der trockenste Monat des Jahres werden.

Die Dürre im Amazonasbecken ist die verheerendste seit 1963. Sagt CiroGomes, Brasiliens Minister für nationale Integration. Und er glaubt auch dieUrsache zu kennen: “Schuld ist die Erderwärmung – speziell die desNordatlantiks um mindestens zwei Grad.” Sie habe die ungewöhnliche Serieder Wirbelstürme in der Karibik verursacht und zugleich die Wolkenbildung überAmazonien verhindert.

“Der südliche Nordatlantik hat sich in diesem Jahr tatsächlich extremaufgeheizt”, bestätigt Professor Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vomPotsdamer Institut für Klimafolgenforschung. Bis zu 33 Grad CelsiusMeerestemperatur seien gemessen worden. Dies beeinflusst nicht nur dieHurrikansaison, sondern kann auch die so genannte innertropische Konvergenzzonebeeinträchtigen. “Sie ist – einfach ausgedrückt – ein Gebiet, in dem Luftzusammenströmt und aufsteigt”, so Gerstengarbe. Weil die Luft sehr warmist, nimmt sie viel Wasser auf und bildet die Wolken. Sie ist für einen Großteildes Niederschlags im Amazonasbecken verantwortlich. “Die Konvergenzzone istaber ein bewegliches System”, sagt der Klimaforscher. Bedeutet: Mit denJahreszeiten wandert sie über den Äquator von Süden nach Norden und wiederzurück. Gut möglich, dass die Atlantikerwärmung den Regenproduzenten verwirrthat – und die Konvergenzzone vom Amazonas fern hält.

An der Erderwärmung sind die Südamerikaner durchaus beteiligt. Denn siezerstören die Regenwälder, die das Treibhausgas CO2binden. “12 Prozent der weltweiten CO2-Emissionenentstehen durch die Abholzung der Regenwälder”, warnt Thomas Brose vomFrankfurter Klimabündnis.

Um den Regenwald für immer zu schädigen, müssen gar nicht alle Bäumegeschlagen werden, wie gerade das renommierte Fachmagazin Sciencemeldete: Forscher aus den USA und Brasilien untersuchten den so genanntenselektiven Holzeinschlag, bei dem nur einzelne, wertvolle Bäume gefälltwerden. Die Auswertung von Satellitenbildern ergab: Jeder selektiv gefällteBaum schädigt 30 weitere.

“Eine Baumkrone kann 25 Meter breit sein”, sagt Gregory Asner,einer der Autoren der Studie. “Wenn man einen Baum fällt, verwandelt sichdas Unterholz in ein Trümmerfeld.” Licht dringt ein und trocknet den Bodenaus, wodurch wiederum die Brandgefahr steigt. Das Ergebnis: Die tatsächlicheZerstörung des amazonischen Regenwaldes ist in Brasilien mit jährlich 35.000Quadratkilometern fast doppelt so groß wie bislang angenommen.

Die Brandrodung durch Kleinbauern trägt ebenfalls dazu bei. Feuer,Anbau, Brache – diesen Anbauzyklus praktizieren die indigenen Amazonier schonseit tausenden von Jahren. Doch seit den Siebzigerjahren sind MillionenBrasilianer aus anderen Landesteilen ins Amazonasgebiet gezogen, angelockt vomVersprechen auf ein eigenes Stück Land. Erst damit wurde Brandrodung zumMassenphänomen – und zum Umweltproblem.

Südöstlich der Amazonasmündung haben brasilianische und deutsche Forscherzwölf Jahre lang eine Alternative entwickelt: Anstatt die üppig sprießendeBrachevegetation einfach abzubrennen, verarbeiten die Kleinbauern sie im Rahmendes Pilotprojekts “Tipitamba” mit einem Traktor und einem Häcksler zuBiomasse. Auf dem so zubereiteten Feld bauen sie dann Mais oder Maniok an.Mittlerweile wird die Methode in sechs weiteren Bundesstaaten erprobt. Weil dieBrandrodung aber praktischer ist und die Asche ein guter Dünger, halten diemeisten Kleinbauern daran fest. Zudem fehlen die Mittel, um eine Mechanisierungim großen Stil umzusetzen.

Wie Tipitamba bleiben hunderte ähnlicher Projekte ein Tropfen auf den heißenStein – besonders wenn man sie mit der rapiden Ausdehnung der Rinderweiden undder Sojaplantagen vergleicht, die sich von Süden und Osten her immer weiter insAmazonasbecken schieben. Seit in Europa als Folge des BSE-Skandals nicht mehrTiermehl, sondern immer mehr Soja verfüttert wird, boomt der Anbau der gelbenBohnen noch mehr.

Blairo Maggi, der weltweit größte Sojaproduzent, ist zugleich Gouverneurdes Bundesstaats Mato Grosso. Anstatt sich um den Schutz von Naturreservaten zukümmern, streicht er günstige Entwicklungskredite ein und macht beste Geschäftemit Deutschland: Die Bundesrepublik ist Europas größter Sojaimporteur. Mit denDevisen aus den Agrarexporten wiederum bedient Brasilien seinen Schuldendienst.

“Ein Sojafeld kann kein Wasser mehr speichern”, sagt KlimaforscherGerstengarbe, “der innere Kreislauf wird zunehmend gestört.” Bislangnimmt der Regenwald Wasser auf, speichert es und transpiriert es wieder. Aufdiese Weise entsteht ein Niederschlagskreislauf, der in Afrika beginnt und anden Anden endet. Nun aber fließt immer mehr Regenwasser ab, anstatt aufgenommenzu werden – und geht so dem Kreislauf verloren.

Als wäre dies alles noch nicht genug, macht sich die Erdölförderung immerweiter im Regenwald breit. Vor 15 Jahren trat der Peruaner Teddy Campos in dieDienste der argentinischen Firma Plus-Petrol, die in der kleinenIndianersiedlung Trompoteros ihr Hauptquartier einrichtete. Seitdem ist der Ortaus den Fugen geraten: Es gibt Strom, einen Flughafen, jede Menge Straßen, vonden Pipelines und Bohrlöchern ganz zu schweigen.

Über 90 Prozent der Auslandsinvestitionen gehen in Ecuador in den Ölsektor.Der brasilianische Staatskonzern Petrobras bohrt im ecuadorianischen Yasuní-Naturpark.Bolivien ist auf bestem Weg, zu einem der wichtigsten Ölexportländer Südamerikaszu werden – und vernichtet auf diese Weise Regenwald.

Holz, Brandrodung, Rinder, Soja, Erdöl: “Auf Satellitenbildern siehtdas Amazonasbecken wie eine Fischgräte aus”, sagt der Greenpeace-ExperteCarlos Rittl. “Von einer großen Straße gehen kleinere ab, es verzweigtsich immer weiter.” Die brasilianische Regierung jedoch sei fürwissenschaftliche Erkenntnisse “auf erschreckende Weise unzugänglich”,sagt der Historiker José Augusto Pádua aus Rio de Janeiro: “Sie hateinfach keine kohärente Umweltpolitik.”

“Wenn 40 Prozent des Regenwaldes zerstört sind, erreichen wir einenWendepunkt”, sagt Carlos Nobre vom brasilianischen RaumforschungsinstitutInpe: “Dann beginnt ein unumkehrbarer Prozess der Versteppung”.Bislang ging man davon aus, dass seit den Siebzigerjahren ein Fünftel desAmazonas-Regenwaldes vernichtet wurde. Stimmt der Befund des Forscherteams umGregory Asner, wäre die kritische 40-Prozent-Marke bald erreicht.

Mehr als drei Viertel der brasilianischen Kohlendioxid-Emissionen gehenmittlerweile auf Brandrodung oder Kahlschlag zurück. In diese Richtung ist derZusammenhang zur Erderwärmung jedenfalls klar. In die andere Richtung nicht:”Die Trockenheit ist ein Wetterextrem, das nicht eindeutig mit demKlimawandel in Zusammenhang gesetzt werden kann”, sagt Friedrich-WilhelmGerstengarbe. Um gleich das “Aber” des Wissenschaftlers anzufügen:”Die Häufung der Extreme ist aber deutliches Signal, dass dasGleichgewicht des Weltklimas gestört ist.” Sein brasilianischer KollegeMarcelo Croce formuliert es so: “Die Leute müssen endlich die Augen öffnen.Wir werden Situationen wie die derzeitige Dürre immer häufiger erleben”.


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