EW-Bonn

 

Geräte sind keine Götter

 


Katastrophenvorhersagen werden zunehmend besser – jetzt müssen die Warnungen auch bei den Menschen ankommen Von Philip Wolff

Ein sieben Kilometer langer Lavastrom und dichter Ascheregen trieben 12 000 Menschen in die Flucht. Ganze Dorfgemeinschaften rannten um ihr Leben, als der 2961 Meter hohe Vulkan Merapi in Zentraljava zuletzt ausbrach. Tausende Bewohner versteckten sich in Bunkern, nachdem das Alarmsystem der Regierung die höchste Alarmstufe ausgerufen hatte. Doch schon am nächsten Tag kehrten viele Menschen schicksalsergeben in ihre Häuser zurück – obwohl weitere Ausbrüche drohten. 
Für die Menschen in Java steckt hinter all dem keine Physik, sondern Kyai Sapujagad, eine Gottheit, die ihren Vulkan bewacht. Ihr bringen sie Opfer, um den Feuerberg zu besänftigen. Geophysiker wie Birger Lühr vom Potsdamer Geo-Forschungszentrum hingegen versuchen, dem Merapi mit moderner Technik beizukommen und das Warnsystem zu präzisieren. Lührs Kollegen haben Chromatographen am Merapi installiert, die austretende Gase erschnüffeln. Indonesische Träger hatten das Gerät auf 1400 Meter Höhe geschleppt. Einen Meter vom Gasaustritt steht die temperatur- und säurefeste, wasser- und gasdichte Kunststoffkiste, eine Pumpe saugt die Gase durch einen Schlauch ein. Steigt der Kohlendioxid-Gehalt auf 15 Prozent, und erkennen Neigungsmesser zugleich, dass sich der Vulkankrater wölbt, müssen sich die Behörden auf eine Warnung vorbereiten. Die Seismometer messen dann täglich bis zu 700 kleine Beben im Berginneren. Und ein umgerüsteter Regenradar erkennt ausbrechende pyroklastische Ströme am Gipfel über der Wolkendecke. Das fünfjährige Projekt unter Potsdamer Leitung sei jetzt abgeschlossen, berichtet Lühr. „Wir übergeben unsere Geräte dem örtlichen vulkanologischen Dienst“. Doch so einfach geht es nicht. Nach einer Studie des Deutschen Komitees für Katastrophenvorsorge halten die Anwohner des Merapi nicht viel von den Forschungen, bei denen ihre Regierung mit Deutschland kooperiert. Kyai Sapujagad ist kein Chromatograph.

Feuerwarnung ohne Feuerwehr

Mit vergleichbaren Problemen kämpfen Katastrophen-Experten rund um den Globus. Ob Wirbelstürme, Fluten, Dürren oder Feuersbrünste: Während die Vorhersage-Techniken immer besser werden und sich vulkanische Aktivitäten wie am Merapi immer präziser modellieren lassen, kann die Wissenschaft in den Risikogebieten häufig nicht ihren vollen Nutzen entfalten. Politische und soziale Bedingungen oder schlicht mangelnde Infrastruktur vor Ort verhindern dies. Deshalb suchen derzeit in Bonn mehr als 350 Wissenschaftler, Geophysiker, Meteorologen, Hydrologen, Regierungsbeamte und lokale Behördenvetreter aus insgesamt 60 Ländern auf der „Internationalen Konferenz zur Frühwarnung vor Naturkatastrophen“ nach neuen Strategien für die Frühwarnung.
Oberstes Ziel ist, die Kluft zwischen der Hochtechnologie und den bedrohten Menschen zu überwinden. Entsprechend lautet das Titelthema der Bonner UN-Konferenz: „Integration der Frühwarnung vor Naturkatastrophen in die Politik“. Warnungen der Wissenschaftler für die Bevölkerung sind mitunter nutzlos. Welchen Sinn haben etwa Satellitenbilder, die eine ausgetrocknete Pflanzenwelt und damit erhöhte Brandgefahr zeigen, in einem Land ohne Feuerwehr? Die Experten wollen daher Warnsysteme entwickeln, die an die lokalen Bedingungen in Gefahrengebieten angepasst sind.
Als mustergültiges Beispiel gilt das „integrated forest fire management“ des Freiburger Feuerökologen Johann Georg Goldammer auf Borneo. Goldammer hat mit Hilfe von Satelliten-Beobachtungen und Niederschlagsmessungen präzise Modelle von den jeweiligen, wetterbedingten Zuständen der tropischen Flora Borneos entworfen. Die regionale Waldbrandgefahr lässt sich seither aus einfachen, permanenten Niederschlagsmessungen ableiten. Anhand eines Gefahren-Indexes warnen Mitarbeiter der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) mittlerweile in zehn Distrikten der Provinz Ost-Kalimantan die Dorf-Bewohner jeweils aktuell davor, den tropischen Pflanzenwildwuchs abzubrennen, um Anbauflächen zu gewinnen. Und je nach Gefährdungsgrad geben die GTZ–Forscher auch wieder Entwarnung: „Das Feuer ist in den Tropen ein normales Mittel der Landnutzung“, sagt Goldammer, der das 2004 auslaufende Projekt für die GTZ konzipiert hat. Der Feuereinsatz müsse nur präzise gemanagt werden – und zwar nicht wider die örtlichen Gebräuche, sondern „in Rücksicht auf die Menschen und ihre Feuermethoden“. Natürlich sei das schwierig, „wo die Leute von Hand in den Mund leben und täglich gegen ihre Not ankämpfen“, sagt Goldammer. „Wir müssen eben auf Dauer überzeugen.“
Unterdessen bereiten korrupte Landnutzer-Clans den Feuerökologen immer wieder Misserfolge, indem sie die Pflanzenwelt nach eigenem Gutdünken abfackeln und die Warnungen in den Wind schlagen. Die politische Situation auf Borneo, sagt Goldammer, sei letztlich Ursache dafür, dass unkontrollierte Rodungsbrände weiterhin Menschen und Umwelt bedrohen. Allein während der El-Niño-Phase 1997/1998 belief sich der geschätzte volkswirtschaftliche Schaden in Indonesien auf zehn Milliarden Dollar. Klaus Töpfer, Direktor des UN-Umweltprogramms, betonte auf der Konferenz in Bonn: Frühwarnung sei nur effektiv, wenn sie in der Politik fest verankert werde.
Der Cottbuser Hydrologe Uwe Grünewald bestätigt: „Das ist das Thema heute, nachdem wir in den vergangenen zehn Jahren versucht haben, den Entwicklungsländern unsere Voraussage-Technologien zur Verfügung zu stellen.“ Inzwischen hätten die Experten gelernt, dass sich Technologien nicht so einfach übertragen ließen – und: „Als die Katastrophen wie das Elbhochwasser nach Deutschland kamen, funktionierte sogar unsere eigene Technologie nicht einwandfrei“.
Entwickelte Länder wie Deutschland im Fall der Elbflut sind mitunter zu langsam mit der Frühwarnung, weil die Rechenmodelle zu komplex sind – etwa die hydrologischen Boden- und Untergrundbeschaffenheit für das Erzgebirge. In den Entwicklungsländern scheitern präzise Vorhersagen hingegen meist schon an scheinbar simplen Hürden: Die Warnungen kommen oft schlicht nicht bei den Menschen an. So zum Beispiel in Vietnam, am Unterlauf des Mekong, wo im vergangenen Jahr 50 Menschen im Hochwasser ertranken, „weil die Frühwarnungen der Meteorologen von den Behörden an Provinzgouverneure im Gefahrengebiet“ weitergeleitet würden, erzählt der Karlsruher Hydrologe Erich Plate. „Die haben als lokale Parteichefs kaum Ahnung, was sie damit anfangen sollen und genießen zudem nicht unbedingt den Respekt der Bevölkerung“.
Eine Warnung aber müsse autoritativ und korrekt sein, sagt Plate, „sonst verlieren die Betroffenen das Vertrauen ins Warnsystem – und verlassen sich auf ihre eigenen Erfahrungen.“ Doch am Oberlauf würden immer mehr Flüsse reguliert und Straßen gebaut, was das Verhalten des Mekong ändere und Erfahrungen aus den Vorjahren wertlos mache. Einfache Maßnahmen zur Vorsorge findet der Hydrologe daher für den Süden Vietnams notwendiger als den Transfer meteorologischer Technik: „Den Schulkindern das Schwimmen beizubringen zum Beispiel, das wäre dort wichtig.“
Der Strategiewechsel, den die Katastrophenforscher aus solchen Erfahrungen ableiten, sieht neben dem Technologie-Transfer vor allem die Entwicklung maßgeschneiderter Frühwarn-Hilfen für einzelne Regionen vor. Ziel der Bonner Konferenz ist es nach Angaben des Deutschen Komitees für Katastrophenvorsorge, ein neues Büro der Vereinten Nationen einzurichten, das für Regierungen, lokale Behörden und Wissenschaftler weltweit Ideen sammelt, weiterleitet und deren Umsetzung unterstützt.

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