Tagesspiegel

„Die UN-Rothelme werden kommen“

Der Tagespiegel, 10 November 2003


WaldbrandforscherJohann Georg Goldammer: Alles blickte nach Kalifornien, dabei vernichtete Feuerin Russland viel größere Flächen

Johann Georg Goldammer vom Max-Planck- Institut für Chemie, Arbeitsgruppe Feuerökologiean der Forstwissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg, giltweltweit als einer der führenden Fachleute zum Thema Vegetationsbrände. Daranforscht er seit 1973, im Jahr 1979 begründete er die Arbeitsgruppe. Das von ihmeingerichtete Global Fire Monitoring Center (GFMC) bündelt alle erreichbarenInformationen über Waldbrände. Im Auftrag der Uno berät es Regierungen inFragen der Vorbeugung und in aktuellen Notsituationen.

Dieses Jahr ging es besonders heiß zu – erst brannte es großflächigin Südfrankreich, Spanien und Portugal. Und jüngst fraßen sich Flammen durchkalifornische Wälder. Nehmen solche Ereignisse zu?

Vor allem sehen wir sie sehr selektiv. In Kalifornien verbrannten 300000 Hektar, über die alle Welt sprach. Doch das Buschgebiet, in das sich diekalifornischen Städte ausdehnen, wächst ohne Problem nach, die Häuser werdenwieder aufgebaut – alles eigentlich nur eine Frage der Versicherung. So what?Dagegen wurden dieses Jahr in Sibirien 20 Millionen Hektar Wald- undSteppenvegetation ein Raub der Flammen: Ein Areal, das doppelt so groß ist wiedie gesamte Waldfläche Deutschlands. Aber von unseren täglichen Veröffentlichungenim Internet abgesehen, nahm kaum jemand Notiz davon. Wir haben dramatischeBilder und Zustandsberichte aus einer Region veröffentlicht, die seit einemJahr keinen Regen mehr gesehen hatte. Jetzt drohen schwer wiegende Auswirkungenauf die Wirtschaft des Landes, auf die Lebensgrundlagen der Menschen dort.

Aber es geht beständig immer mehr Wald verloren. Das schadet doch auchdem Klima?

Ja. Insgesamt beobachten wir in vielen Regionen der Welt eineVerschlechterung des Vegetationszustandes und damit auch eine Verlagerung vonKohlenstoff in die Atmosphäre.

Kann man die Mengen einschätzen?

Das ist äußerst kompliziert. Denn unter ungestörten Bedingungen wächstdie vom Feuer betroffene Vegetation nach, der freigesetzte Kohlenstoff wirdwieder „eingebaut“. Das kann bei Grasland in einem Jahr geschehen und bei Wälderndurchaus mehrere hundert Jahre dauern. Das macht die Natur aber seitJahrmillionen so. Ernst wird es, wenn der Mensch die Kraft der Vegetation zurSelbstheilung nachhaltig schädigt wie zum Beispiel bei der Brandrodung dertropischen Regenwälder. Oder denken wir an die ausgebrannten SumpfgebieteAsiens. In beiden Fällen wird nach dem Feuer weniger pflanzliche Biomassegebildet, im Extremfall entstehen Wüsten. Und damit wird dort auch wenigerKohlenstoff gebunden. Rein rechnerisch verbleibt er in der Atmosphäre, er wirdaber durchaus auch auf dem Land umverteilt oder aufs Meer getragen und in denSedimenten der Ozeane abgelagert.

Wenn schon keine Gesamtrechnung möglich ist, kann man wenigstens einzelneEreignisse in ihrer Klimawirkung beziffern?

Wir bereiten derzeit eine Bewertung der gigantischen Feuer in Sibirienvor. Hier haben wir dank der Satellitentechnik wenigstens präzise Daten überdie Lage und die Ausdehnung der Brandflächen. Dennoch dürfen wir uns nicht zuvoreiligen Aussagen über die Verstärkung des Treibhauseffekts hinreißenlassen: Die Zusammenhänge sind einfach sehr komplex.

Reichen denn die vorhandenen Satelliten aus, um die Gefahren rechtzeitigauszumachen?

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betreibt seit mehrals zwei Jahren den Kleinsatelliten „Bird“. Er dient der Erkennung undBewertung von Feuern. Aber er ist nur ein Prototyp. Das DLR, die EuropäischeWeltraumagentur Esa und auch die Nasa fordern nun die Weiterentwicklung zu einempraxisgerechten operationellen System. Brasilien, Indonesien und Russlandbrauchen eine solche Technik dringend. Ein neuer deutsch-russischer Vorschlag,eine solche Satellitenfamilie mit Hilfe russischer Bauteile und Trägerraketenin den Orbit zu bringen, wird diskutiert. Die Unterstützung der Russen ist groß,denn sie erkennen die Bedeutung der Waldbrandprobleme im eigenen Land. Sie könntenein solches Projekt wohl schnell und kostengünstig verwirklichen.

Die Brände schnell zu erkennen ist aber nur ein Teil der Arbeit. Manche Länderhaben doch gar keine Mittel, die Flammen zu bekämpfen. Müsste man alsoeigentlich eine „globale Feuerwehr“ aufbauen?

Das Konzept dafür, jederzeit Einheiten zu entsenden, die einem Land inNot helfen können, ist schon in Arbeit. Dass es bis dahin noch eine Weiledauern wird, liegt eher an rechtlichen Voraussetzungen. Und sie können größtenteilsnur durch bilaterale Vereinbarungen geschaffen werden. Da geht es beispielsweiseum die Frage: Wer haftet, wenn ein internationaler „firefighter“ zu Schadenkommt? Oder: Wer zahlt für einen Schaden, der durch einen Einsatz in einemfremden Land entsteht, etwa auf Grund einer falschen Entscheidung? Wer kommt dafürauf, wenn dadurch ein Haus verbrennt, ein Mensch zu Schaden kommt?

Bilateral? Warum wird so etwas nicht in der Uno geregelt?

Die Vereinten Nationen stehen mit mehreren Einrichtungen und Programmenfür die Hilfeleistung bei der Vorbeugung und der Bewältigung vonFeuerkatastrophen zur Verfügung. Zwar gibt es noch keine„Uno-Rothelm-Truppe“, aber bereits ein Instrumentarium unter der„International Strategy for Disaster Reduction“. Hier hat sich nach einemUno-Beschluss in der vergangenen Woche die im Jahr 2001 eingerichteteArbeitsgruppe „Wildland Fire“ in eine „Wildland Fire Advisory Group“weiterentwickelt. Sie wird von unserem GFMC geleitet und hat unmittelbarenberatenden Einfluss auf die Arbeit und auch die politischen Programme der Uno.Dass das Freiburger GFMC einen Auftrag und ein Mandat der Zivilgesellschaft übernehmenkonnte, zeigt, dass wir die Arbeit der Uno aktiv mitgestalten können und auchmitverantwortlich sind.

Was oft vergessen wird: Es gibt ja noch ganz andere Brände. Unter demUrwald in Indonesien, in Teilen der USA und Chinas gibt es Kohleflöze, dieschon seit über 20 000 Jahren unterirdisch glühen. In Trockenzeiten erhitzensie den Boden so stark, dass der Bewuchs an der Oberfläche Feuer fängt.Wieviel Kohlendioxid wird denn dabei frei?

Darüber gibt es nur sehr vage Aussagen. Dieser Anteil mag ein Prozentder globalen Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger ausmachen,vielleicht weniger. Aber unabhängig davon: Es sind absolut sinnlose Emissionen,denn die Energie wird nicht genutzt. Und dabei ist das Kohlendioxid noch nichteinmal das größte Problem: Die Schwefelbelastung der Umwelt ist ungeheuerstark. Diese Brände sollten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gelöschtwerden. Da hilft auch das Argument nicht, dass diese Brände teilweise schonseit langen Zeiträumen schwelen und damit sogar einen natürlichen Vorgangdarstellen. Wer nutzlose Emissionen verringert, der hilft, die Atmosphäre zuschützen.

Wenn es aber mit dem Erkennen und dem gemeinsamen Löschen noch eine Weiledauert, könnte man in jedem Land doch schon mal mit der Prävention beginnen?

Ob – am Beispiel von Kalifornien betrachtet – ein Stück Buschwerkverbrennt oder nicht, ist gar nicht so wichtig. Schlimm wird es, wenn Menschendabei zu Schaden kommen. Man wird umdenken müssen: Die Stadtplaner werdenRaumordnung und Vegetations-Management im Sinne von Feuer-Management miteinanderverknüpfen. Beim Feuer-Management arbeiten die Regionalplaner zusammen mit demFörster. Die Vegetation im Umfeld der Siedlungen muss bewirtschaftet werden.Denkbar ist eine Nutzung als Weide, die Biomasse könnte aber auch derEnergiegewinnung dienen. Übrigens lässt sich auch ein kontrolliertes Feuer alsManagement-Werkzeug einsetzen.

Manche Gegenden sind doch nicht zugänglich?

Wenn der Busch nicht zugänglich ist, das Feuer durch einekontinuierliche, ungegliederte Landschaft brennen kann, in die darüber hinausleicht brennbare Häuser eingebettet sind, dann wird es solche Feuer wie inKalifornien immer wieder geben.

Können die Anwohner selbst etwas tun?

Aber sicher. Das sieht man im Vergleich USA/Australien: Die Amerikanerevakuieren die Anwohner grundsätzlich. Daher sind auch so viele Häuserverbrannt. In Australien bleiben viele Hausbesitzer am Ort und schützen ihr Gebäude– das ist oft auch mit bescheidenen Mitteln möglich. Aber es geht auch umRichtlinien, um die Bau-Standards, zum Beispiel. Ein Holzhaus im Wald brennt wieder Wald. Ein Steinhaus mit Ziegeldach ist da sehr viel widerstandsfähiger.

Muss man die Menschen erst zu ihrem Glück zwingen?

Zynisch ausgedrückt: Das regelt der Markt. Irgendwann werden dieVersicherungen nämlich für bedrohte Anwesen keine Verträge mehr abschließen.So geht es Hauseigentümern, die in der höchsten Riskostufe der Elbe-Niederungleben, heute schon. Als Konsequenz aus dem Brandrisiko kann es Auflagen zurRaumordnung und zu Bau-Standards geben. In Amerika dürfte der Weg dahin aber mühseligsein.

A propos, Geld: Wie geht es eigentlich Ihrem Global Fire MonitoringCenter?

Zwischen 1998 und 2001 erhielten wir eine Anschubfinanzierung vom AuswärtigenAmt. Seitdem müssen wir uns aus Beiträgen des Amtes an die Uno und durchForschungsprojekte „ernähren“. Dabei war die Förderung des DeutschenForschungsnetzes Naturkatastrophen sehr hilfreich, aber sie läuft am Jahresendeaus. Starke fachliche und politische Unterstützung erhalten wir vom DeutschenKomitee für Katastrophenvorsorge, in dem wir mitarbeiten. Im nächsten Jahrwerden wir wieder das Auswärtige Amt und auch den Bundesumweltminister um Geldangehen.

Das Interview führte Gideon Heimann 
Quelle: http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/10.11.2003/830314.asp


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