Die Choreographie der Flammen

Die Choreographie der Flammen

30. Juli 2009

veröffentlicht vonwww.sueddeutsche.de


Im Süden Europas sind derzeit wieder einmal Waldbrände außer Kontrolle. Dabei lässt sich Feuer beherrschen – wenn man seine Dynamik erkennt.

Stille liegt über dem Hang, der gleich in Flammen aufgehen wird. Johann Goldammer lehnt an einem Pritschenwagen und gibt letzte Anweisungen. “Wir brennen von hier aus zwei Flanken hoch, dazwischen oben eine Linie parallel zum Weg.”

Die Männer greifen zu den schweren, gelben Jacken aus feuerfestem Aranid, den Atemmasken und Rucksäcken mit 20-Liter-Wasserspritzen. Einen halben Hektar Land werden sie an diesem Nachmittag abfackeln.

Der Forstwissenschaftler Goldammer, einer der renommiertesten Feuerforscher weltweit, liebt solche Aufgaben. Doch selten nur kann er selbst die Fackel in die Hand nehmen, zu oft reist der Leiter des “Global Fire Monitoring Center” (GFMC) in der Welt herum und berät andere Nationen, wie sie Waldbrände verhindern oder eindämmen können.

Jetzt im Sommer, wenn wieder die Wälder in den Urlaubsregionen in Flammen stehen, beantwortet er die immer gleichen Fragen: Ist der Klimawandel schuld? Kann man etwas gegen die Brände tun?

Nein, sagt Goldammer, der Klimawandel ist nicht schuld. “Wir leben auf einem Feuerplaneten, da gehören die Waldbrände im Sommer dazu. Und zwei Drittel aller Brände sind nützlich für die Natur.” Er sagt, dass sich die Menschen mit dem Feuer arrangieren müssen, wenn sie es überleben wollen.

Also hat er sich nicht darauf spezialisiert, Brände zu löschen, sondern sie zu verhindern oder wenigstens zu beherrschen. Wer die Waldbrände im Mittelmeerraum verstehen will, tut gut daran, Goldammer und seinen Mitarbeitern dabei zuzuschauen, wie sie an einem sonnigen Tag einen Schwarzwaldhang oberhalb von Freiburg anzünden.

Natürlich lässt sich der halbe Hektar, den sich die Männer vorgenommen haben, nicht mit den Tausenden Hektar Wald in den unzugänglichen Bergregionen Korsikas oder Spaniens vergleichen. Doch wählt man sich einen derart ungezähmten Gegner aus wie das Feuer, muss man klein anfangen. “Übung sammelt man nur hier in diesem Gelände. Es ist das beste Forschungslabor”, sagt Goldammer.

Arbeit – selbst gelegt

Dabei tun er und seine Kollegen auch der Natur etwas Gutes, denn ohne die ordnende Kraft der Flammen würde der Wald in das Naturschutzgebiet vorrücken, die traditionellen Bergweiden wären verloren. Im Mittelmeerraum legen die Menschen jedoch Feuer, um vermeintlich nutzlosen Wald in ergiebiges Weide- oder teures Bauland zu verwandeln – oder um sich Arbeit zu verschaffen.

In Spanien, Portugal und Griechenland werden die meisten Feuerwehrleute nach Bedarf eingestellt. Den schaffen sie sich gerne selbst. Schätzungsweise 95 Prozent der Brände sind von Menschen verursacht.

Verheerend werden die Feuer, weil sie so viel Nahrung finden, sagt Goldammer: “2000 Jahre lang haben die Dorfbewohner jedes Stück Brennholz aufgesammelt, Ziegen haben alles abgefressen, und die Dörfler haben kleine Feuer selbst gelöscht.

Aber diese Leute und ihr Wissen gibt es nicht mehr.” Goldammer bückt sich und reißt ein paar trockene Farnzweige aus. “Das Land bleibt sich selbst überlassen, es sammelt sich immer mehr Totholz an, und das lässt die Brände nie erlöschen.”

Viele feuergefährdete Nationen hat Goldammer davon überzeugt, dass man den unkontrolliert wütenden Flammen zuvorkommen muss. In den mediterranen Ländern jedoch ist er noch nicht aktiv geworden: “Da ist nur Chaos. Aber die wollen sich nichts sagen lassen.”

Dabei könnten vor allem die Spanier Hilfe auch in diesem Jahr wieder gut brauchen. Goldammers Ansicht nach steht dem Land “in weiten Teilen eine extreme Saison” bevor. Schon jetzt brennt es im Mittelmeergebiet jedes Jahr auf einer Fläche von einer Million Hektar.

Weltweit stehen sogar 400 Millionen Hektar Land in Flammen, da müsse man sich doch eine Strategie überlegen. Goldammers Strategie heißt: Feuermanagement durch kontrolliertes Brennen oder “dem Feuer den Platz geben, den es braucht”.

Also nicht einfach nur möglichst viel Löschwasser auf einen brennenden Wald kippen, sondern die Dynamik des Feuers erkennen, ihm etwa mit klug angelegten Schneisen Barrieren in den Weg legen.

Wie das aussehen könnte, zeigen Goldammers Kollegen auf ihrem Übungsgelände. Mit einer Art Harke reißen sie auf einem zwanzig Zentimeter breiten Streifen den Hang hinauf das Gestrüpp heraus und schaffen so Schneisen, um dem Feuer seinen Platz zuzuweisen.

Alex Held, einer von Goldammers Mitarbeitern und Gründer der Firma “Working on Fire”, lässt aus einer Art Gießkanne alle zwei Meter ein Benzin-Diesel-Gemisch auf den Boden tröpfeln. Unterhalb des Ausgusses entzündet eine kleine Flamme das Gemisch. Sofort schießen die Flammen in die Höhe und stehen für einen kurzen Moment senkrecht.

Dann vereinen sich die einzelnen Feuerpunkte, finden zu einer gemeinsamen Choreographie und jagen als geschlossene Feuerwalze den Berg hinauf. Schwerfällig folgt ihnen eine milchig-weiße Wasserdampfwolke, in der selbst die knallgelben Jacken der Männer verschwimmen.

In diesem Moment scheint es egal zu sein, ob ein halber Hektar brennt oder Hunderte, ob die Flammen hier im Schwarzwald oder in Griechenland wüten, in jedem Fall muss man sich auskennen in diesem Flammenmeer, um es zu beherrschen – und zu überleben.

So wie Alex Held. Obwohl der Wind ständig dreht und die Flammen mal in die eine, mal in die andere Richtung tanzen lässt, steht Held stets außerhalb des Feuers. Dabei duldet das Feuer keine Sekunde Stillstand, jeden Moment der Unschlüssigkeit nutzt es aus.

Eben noch hat der Besucher freies Land vor sich gehabt, da schließen die Flammen ihren Ring immer enger um ihn, bis die ersten Flammen an den Schuhsohlen knabbern.

 

Feuerpatsche statt Wasserbomber

Ein paar Faustregeln gibt es, die einen vor solchen Erlebnissen bewahren sollen: Stets frisst sich das Feuer bergauf, und wenn die Hangneigung wie hier etwa 45 Prozent beträgt, geht das ziemlich schnell. Pro zehn Prozent Hangneigung verdoppelt sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit, und die Strahlungshitze sinkt mit dem Quadrat der Entfernung zu den Flammen.

Es gibt Rechenmodelle, in die man Werte für Topographie, Wetter, Windstärke und -richtung und Hangneigung eingeben kann, dann berechnet der Computer daraus die Dynamik des Feuers.

Doch viel übrig hat Goldammer dafür nicht: “Man hat ja nicht immer einen Laptop dabei. Die Erfahrung aber kann einem keiner nehmen.”Da denkt man an Feuerwehrmänner in den brennenden Wäldern Griechenlands, die andere Probleme haben, als das Feuer mit dem Computer zu analysieren.

Wenn sich die Flammen an einer Stelle allzu wild gebärden, haut Held mit der Feuerpatsche auf sie ein. Er sieht aus wie ein Mann mit Keule im Kampf gegen ein Raubtier, das nur mit Raffinesse, aber nicht mit Kraft allein zu besiegen ist. Goldammer ist stolz darauf, das Feuer mit einem Gerät in Schach zu halten, das er notfalls aus alten Autoreifen basteln kann.

Die Politik dagegen vertraut lieber auf teure Wasserbomber. Während der Brände in Griechenland vor zwei Jahren erwog die Europäische Union die Schaffung einer Waldbrand-Eingreifflotte aus zehn Löschflugzeugen.

“Dabei nützen Flugzeuge allein gar nichts”, sagt Goldammer. Denn was ist, wenn den Bombern das Wasser ausgeht? Was ist dann mit den 50.000 Feuerwehrleuten, die in Südeuropa jedes Jahr am Boden gegen die Flammen kämpfen? Schlachten entscheiden sich am Boden.

“Wie sieht es an der linken Flanke aus?” “Brennt sehr heiß.” Die Funksprüche klingen atemlos, die Schutzkleidung wiegt schwer. Trotzdem müssen die Männer dankbar sein für ihre Atemmasken, denkt der Besucher, der angestrengt versucht, etwas Sauerstoff in seine kratzenden Lungen zu saugen.

Plötzlich ist das gefräßige Knistern der Flammen auch jenseits der Schneise zu hören – dort, wo eigentlich Stille sein sollte. Goldammer hält sich statt der Atemmaske, die er schon abgelegt hat, ein Taschentuch vor den Mund und taucht in die Rauchwolke ein.

 

Zu viel Feuer – zu wenig Wasser

Dann seine Stimme aus dem Funkgerät: “Chief an alle: Wir haben eine Escape-Situation. Bitte einer hochkommen. Jemand mit Feuerpatsche in der Nähe?” Einer rennt los, um den Pritschenwagen zu holen, auf dem eine Wasserpumpe montiert ist.

Hupend, um im alles verschluckenden Rauch niemanden zu überfahren, hält er dann unterhalb des Feuers, entrollt den Schlauch; der Pumpengenerator röhrt los. Held rennt im Bogen um das Feuer herum den Berg hinauf, um es von oben zu bekämpfen. Er muss die Flammen packen, solange sie sich durch einzelne Funken ausbreiten und noch keine einheitliche Front bilden.

Von der Löschpumpe kann er keine Hilfe mehr erwarten – schnell ist ihr das Wasser ausgegangen. Die Flammen haben bereits einen zwölf Meter breiten Streifen Land erobert, doch nach ein paar Minuten weichen sie vor Helds Schlägen den Berg hinab und lassen sich zu Boden drängen.

Als das Feuer gelöscht ist, sieht man den Männern die Erschöpfung an. Manöverkritik werden sie am nächsten Tag machen, heute reicht es nur noch für einen müden Scherz. Während sich Alex Held das schweißnasse Gesicht mit dem T-Shirt abwischt, sagt er: “Zu viel Feuer und zu wenig Wasser – da hatten wir die klassische Waldbrand-Situation.”

 


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