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Wenn die Wälder brennen

12August 2010

published by www.welt.de


Was steckt hinter der russischen Feuerkatastrophe? Wie schlimm ist sie wirklich? Sind auch deutsche Wälder bedroht? Die wichtigsten Antworten zur Ökologie der Brände

 

Das waren noch Zeiten in Russland. 500 bis 600 Flugzeuge waren im Auftrag der sowjetischen Forstverwaltung an einem durchschnittlichen Hochsommertag stets gleichzeitig in der Luft. Über den ausgedehnten Wäldern im europäischen Teil und Sibiriens suchten die scharfsichtigen Mannschaften den Horizont nach Rauchfahnen ab. Erblickten sie eine durch ihre Ferngläser, so alarmierten sie umgehend die nächste Feuerwehr. Oder, in abgelegeneren Gebieten, kleine Trupps der 8000 allzeit bereiten Spezialkräfte, Fallschirmspringer zumeist, die die Brandherde im Keim erstickten. Oft kam es auch damals im heißen russischen Sommer zu Waldbränden. Manche wurden begrenzt geduldet, weil sie auch dazu beitragen, dass sich der Wald regeneriert. Katastrophen aber, wie wir sie dieser Tage im Gebiet rund um Moskau erlebten, konnten so meist unterbunden werden.

Die staatliche Verwaltung der UdSSR, Anhängsel unzähliger Ministerien, war untragbar aufgebläht. Postsowjetische Herrscher in Moskau waren bemüht, sich ihrer zu entledigen, meist mit guten Gründen. Ob aber das, was zum Jahresbeginn 2007 als neues Forstgesetz in Kraft trat, durchdacht war, darüber dürften dieser Tage, besonders in der vom beißenden Rauch der brennenden Wälder eingehüllten Hauptstadt, die Zweifel wachsen: Die staatlichen Wälder wurden privatisiert, 70 000 Waldhüter entlassen, die Waldaufsicht auf die unvorbereiteten Regionalverwaltungen übertragen, die Flüge der Brandschützer gestrichen.

Als “eine fatale Entwicklung” sieht Johann Goldammer die Folgen des Forstgesetzes für das mit 1,3 Milliarden Hektar waldreichste Land der Welt (Deutschland: 10 Millionen Hektar). Die “Regionen sind mit dieser Aufgabe vollkommen überfordert”. Goldammer, Professor für Forstökologie und international einer der renommiertesten Waldbrandexperten, sitzt zwar im fernen Freiburg. Doch gestern brach er auf in die russischen Wälder, wie unzählige Male zuvor schon, um die Moskauer Regierung zu beraten. 1999 bereits erhielt er als einziger Ausländer von der russischen Zentralregierung die Ehrenmedaille “Für den Schutz und die Vermehrung der Waldressourcen Russlands”.

Statistisch gesehen könnte man behaupten, dass Russland die Quittung für den Umbau der Forstverwaltung und den Abbau des Waldbrandschutzes bereits im Jahr nach dem neuen Forstgesetz bekam. 23 Millionen Hektar Wald und andere Flächen standen im Jahr 2008 bis zum 10. August unter Feuer. Das sind immerhin neun Millionen Hektar mehr als in diesem so spektakulären Waldbrandjahr 2010 und gleichzeitig Rekord der letzten Jahre. Im vergangenen Jahr, 2009, waren bis zum 10. August übrigens fast genau wie in diesem Jahr gut 14 Millionen Hektar entzündet, 2007 waren es im entsprechenden Zeitraum neun, 2006 allerdings 15. Ausgerechnet im Moskauer Katastrophenjahr könnte man also genauso gut konstatieren, dass die Waldbrandgefahr in den letzten fünf Jahren auf die Fläche bezogen eher gesunken ist. Die Angaben stammen nicht von der russischen Regierung, es handelt sich um satellitengestützte Daten des Freiburger Global Fire Monitoring Center (GFMC), das Busch-, Wald- und andere unbeabsichtigte Feuer weltweit aufspürt und untersucht – dessen Chef ebenfalls Johann Goldammer ist.

“Vom Ausmaß der Brandfläche her ist das, was jetzt rund um Moskau geschieht, marginal”, sagt Goldammer, in anderen russischen Gebieten passiere viel mehr, auch in Kamtschatka weit im Osten. Von der übrigen Welt ganz zu schweigen. Jährlich brennen insgesamt 300 bis 400 Hektar ab (siehe nebenstehende GFMC-Weltkarte der Brände). Darunter sind durchaus gewünschte oder doch tolerierte Feuer, was manche rote Stelle auf der Karte weniger tragisch erscheinen lassen sollte, gerade in Russland. “Feuer in Zentralsibirien etwa sind unabdingbarer Bestandteil der Waldentwicklung und wichtig für seine Stabilität”, sagt Goldammer.
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Was freilich nichts zu tun hat mit den derzeitigen Bränden rund um Moskau, mit allen katastrophalen Auswirkungen, die nun erst richtig offenbarten, was die Zerschlagung vor allem des Brandschutzes und der Forstwirtschaft bedeute.

Dabei geht es nicht nur um den Rauch, der bald wieder verschwindet und vor dem Goldammer nicht bange ist. “Ich nehme eine Atemschutzmaske für Profis mit”, sagt er, “an anderen Stellen in der Welt wird die Nase weit mehr strapaziert”; auch nicht nur um die Gefahr, dass nuklear verstrahlter Staub aufgewirbelt wird. Näher liegend seien da die Sorgen um das tägliche Brot. Felder und Gärten seien abgebrannt, Ernten vernichtet. “Viele russische Familien bauen ihren Bedarf selbst hinterm Haus an. Oder, draußen, am Waldrand bei ihrer Datsche. Denen fehlt jetzt die Nahrung für das nächste halbe oder auch das ganze Jahr.”

Dabei sieht Goldammer einen nennenswerten Teil der Schuld am derzeitigen Desaster gerade in den Datschenbesitzern: “Partys mit Grillfeuer in den extrem trockenen Waldrandgebieten, Feuerwerk im Forst, Zigaretten und andere Nachlässigkeiten haben den allergrößten Teil der Brände verursacht.” Noch heute, so sagt der Feuerexperte, würden manche Bauern sogar noch ihre Stoppelfelder abbrennen. Wie jedes Jahr, als sei nichts geschehen dieser Tage. Die anhaltend starke Hitze, vor allem die Trockenheit bildete natürlich beste Voraussetzungen für die Feuer. “An die angeblichen Selbstentzündungen, von denen in Russland jetzt immer die Rede ist, glaube ich aber nicht, und man nähert sich hierbei in den letzten Tagen auch der Wahrheit an.” Das mit den Glasscherben, die wie Brenngläser wirkten, sieht er eher als Ausflucht in die Theorie.

Wenn Goldammer nun nach Russland fährt, wird er allerdings nicht als Ankläger der Datschenbesitzer und nicht als Kontrolleur des Brandschutzes auftreten. Ihm geht es vor allem um längerfristige Änderungen im russischen Wald und den angrenzenden Gebieten – in den letzten 100 Jahren und in der Zukunft. So rächt es sich immer deutlicher, dass in Russland so viele Moore trockengelegt wurden, um Land zu gewinnen. Auch um Torf zu gewinnen – als Brennstoff. Jetzt, wo sich das Land auch in Russland leert und keiner mehr den Torf abbaut, ist er ein gefundenes Fressen für jedes Feuer. “Torfbrände sind ungemein schwer zu löschen, häufig überwintern diese Feuer sogar”. Dabei sind Moore auch in der Lage, Kohlendioxid zu binden. Brennen sie aber, setzen sie CO2 frei. In Russland tut sich dafür ein weites Feld auf. 15 Prozent der weltweiten Moorflächen liegen in Russland, seit der Zarenzeit wandelte man sie in trockene Äcker oder Weiden um.

Auch wird zu fragen sein, ob verbreitete Monokulturen in den russischen Wäldern mit leicht brennbaren Arten wie Kiefern, Birken oder Pappeln noch zeitgemäß sind, wenn es häufiger so heiß und trocken werden sollte. Zumal unter den neuen Bedingungen der privaten Wälder, bei denen die Konzessionsinhaber den Begriff des selektiven Einschlags, der aus der nachhaltigen Forstwirtschaft stammt, uminterpretiert haben: Nicht nach ökologischen Gesichtspunkten werden da bestimmte Bäume aus dem Wald geholt, etwa um seine Regenerationsfähigkeit zu fördern oder auch um aus durchaus erwünschten, begrenzten Waldbränden gestärkt hervorzugehen. Vielmehr schlagen die Pächter nun die wertvollsten Bäume ein, die auch am besten den Feuern trotzen könnten.

Trotz aller kurzsichtigen Trockenlegung der Moore in der UdSSR für die Kolchosen – der nachhaltigen Forstwirtschaft zu sowjetischer Zeit, als die Regeln des gesunden Waldes genauer beachtet wurden, stellt Goldammer gute Zeugnisse aus. Doch die Zeiten werden, auch wenn einst wieder größere ökologische Verantwortung einkehren sollte, kaum zurückzuholen sein. Das flächendeckende Interesse am Wald ist erlahmt, die Landflucht scheint unaufhaltsam. Junge Menschen, die Hand anlegen könnten und wollten, und sei es auch, wenn irgendwo ein kleines Feuer ausgebrochen ist, gibt es dort nicht mehr. Es sind dies allesamt Bedingungen, die auch hierzulande nicht fremd sind, vor allem nicht im waldreichsten Bundesland, Brandenburg. Drohen hier ähnliche Brandkatastrophen, diesmal rund um Berlin?

Georg Wagener-Lohse vom europäischen Netzwerk “Future-Forest”, das in der EU ausgewählte Forstregionen berät, kann das nicht ganz ausschließen. Anders als in Russland aber, so sagt er, konnte gerade Brandenburg ein sehr erfolgreiches automatisches Monitoringsystem auf den alten Brandschutztürmen der DDR aufbauen. “So konnten seit 1992 die abgebrannten Waldflächen von 1300 auf 270 Hektar im Jahre 2009 reduziert werden, und die Anzahl der Brände von 1020 auf 140”, trotz zwischenzeitlich extrem trockener Hitzewellen gerade in Brandenburg – von seiner Natur her das “entzündbarste” Bundesland. Die Monokulturen, vor allem die leicht brennbaren Kiefern, die 70 Prozent der Wälder ausmachten, seien eine Gefahr. “Da müssen wir auf 40 Prozent runter.”

Langfristig, sagt Wagener-Lohse, wisse niemand, wie die Entwicklung in diesem Jahrhundert verlaufen werde. Deshalb setze man in Brandenburg auf das Konzept des “klimaplastischen” Waldes mit möglichst vielen Baumarten. Komme, was da wolle, so sei man am besten für alles gewappnet.


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